Empowerment weltweit

Bericht von der WRI-Konferenz zu Gewaltfreiheit und gesellschaftlichem Empowerment in Indien

Etwas
später als ursprünglich geplant war es im Februar so weit: 70
Menschen aus 20 Ländern und fünf Kontinenten trafen sich in der
Gandhi Labour Foundation in Puri am Golf von Bengalen, um eine Woche
lang Erfahrungen mit Empowerment auszutauschen, Fragen aufzuwerfen und nach
neuen Antworten zu suchen[1]. Der Ort war gut
gewählt. Die Gandhi Labour Foundation, ein Bildungszentrum der
gandhianischen Gewerkschaftsbewegung, liegt am Rande des Wallfahrtsortes Puri
und nur wenige Minuten Fußweg vom malerischen Strand des Golf von
Bengalen. Das Klima war noch angenehm, wenn auch für europäische
Verhältnisse sehr sommerlich, und trug neben der Möglichkeit eines
erfrischenden Bades und der freundlichen Umsorgung durch das Personal der
Gandhi Labour Foundation wie auch eines Teams von 20 Freiwilligen der
indischen Gastorganisation Swadhina sehr zur entspannten
Konferenzatmosphäre bei. Das indische DolmetscherInnenteam leistete eine
wunderbare Arbeit, ohne die unsere doch so wichtige Kommunikation nicht
möglich gewesen wäre, und die OrganisatorInnen von Swadhina

bewiesen mit ihrer selbstgebauten, aber Profiansprüchen genügenden
Simultanübersetzungsanlage, daß sich mit Kreativität viel Geld
sparen läßt.

Das Konferenzprogramm spannte den Bogen von persönlichen Erfahrungen mit
Empowerment (und Disempowerment) über die Arbeit in Gruppen und
Organisationen zu gesellschaftlichen Kämpfen und bis hin zu
internationaler Kooperation (oder disempowernder Bevormundung?). Einen
umfassenden Überblick zu geben ist im Rahmen dieses Artikels nicht
möglich[2], und so wollen wir uns auf
einige wenige uns spannend erscheinende Aspekte beschränken.

Definitionsversuche

Die
Frage, was gesellschaftliches Empowerment eigentlich bedeutet, um welche Macht
es uns eigentlich geht, wurde aus drei verschiedenen Perspektiven angegangen:
José Araya aus Chile, Pushpa Bhave aus Indien und Ellen Elster aus
Norwegen näherten sich auf ihre je eigene Art dem Thema.

Ellen Elster, Mitglied im Vorstand der WRI, schilderte die Erfolge der
Frauenbewegung der 70er Jahre, die vor allem in den skandinavischen
Ländern sehr sichtbar sind. Doch welche gesellschaftlichen
Veränderungen hat diese "Teilhabe an der Macht" bewirkt?

Sie setzte sich ebenfalls kritisch mit der zunehmenden Tendenz zur
"Professionalisierung" von NGO's auseinander, die mit einer Umorientierung auf
Lobbyismus und Dialog mit den Herrschenden einher geht. Dies mag zu mehr
Einfluß auf Regierungsentscheidungen führen, doch führt es auch
zu mehr Empowerment an der Basis?[3]

Welche Macht wollen wir?

Verschiedene
Workshops gingen in den ersten zwei Tagen Aspekten der Macht nach, die wir
anstreben, oder gegen die wir uns wenden. Keith Goddard von Gays
and Lesbians of Zimbabwe
berichtete über Angriffe der
Mugabe-Regierung auf Schwule und Lesben in Zimbabwe, die im wesentlichen mit
den "Rechten der Mehrheit gegenüber der Minderheit" begründet
würden. Es entspannte sich daraufhin eine Diskussion über Macht -
Mehrheit - Minderheit und Identität, und in welchem Verhältnis
zueinander diese Begriffe stehen[4].

Amalia Paillalaf, Lehrerin in einer Indigena-Gemeinde der Mapuche-Tehuelche in
Patagonien, Argentinien, stellte im Bericht über ihre Arbeit die
Notwendigkeit der Bewahrung der eigenen indigenen Identität heraus. Amalia
betont die Wichtigkeit, auch das traditionelle Wissen ihres Volkes in der
Schule zu unterrichten und schriftlich festzuhalten. Dazu mußte sie die
Alten bitten, dieses Wissen weiterzugeben. Diese wollten zuerst nicht, da sie
meinten, es wäre heute nicht mehr von Nutzen. Außerdem mußte
der Unterricht in Amalias Schule so organisiert werden, dass er den
Lebensbedingungen der Mapuche in dieser Region, die über hunderte von
Kilometern voneinander entfernt leben, entspricht. So gehen die Kinder dort
jeweils zwei Wochen zur Schule und bleiben dann eine Woche zu hause,
während die anderen Geschwister zur Schule gehen, die vorher zu hause
geblieben waren, um zu helfen.

Fallstudien

Ein
wichtiges Element der Konferenz waren Fallstudien zu verschiedenen Kampagnen
und Bewegungen, die extra für die Konferenz erstellt worden waren. Diese
deckten vier Themenbereiche ab: Empowerment für ökonomische
Alternativen, für gesellschaftliche "Dekontamination", für den Schutz
der Umwelt und für Entmilitarisierung[5].

Empowerment für ökonomische Alternativen

Zu
diesem Thema waren eingeladen: Khoboso Nthunya aus Südafrika von
SEWU (Self Employed Women's Union) einer Gewerkschaft für Frauen, die im
informellen Sektor arbeiten, Srichandra Venkataramanan, von der 1986
gegründeten indischen Organisation Swadhina, die das ökonomische
Empowerment von Frauen als Schwerpunkt ihrer Arbeit bezeichnen, und Edda
Isernhagen
aus Brasilien von der Organisation Movimento dos Trabalhadores
Rurais Sem Terra (MST), der brasilianischen Landlosenbewegung.

Während SEWU in erster Linie Kleingewerbe treibende Frauen in
Südafrika organisiert (zu gut deutsch: Strassenhändlerinnen),
organisiert Swadhina vor allem Frauen auf dem Lande. Beide haben sich dem
Empowerment von Frauen verschrieben. Während sich SEWU die Organisierung
und Fortbildung bereits wirtschaftlich selbstständig arbeitender Frauen
als Ziel gesetzt hat - durch Förderung und Ausbildung von Fähigkeiten
in den Bereichen Führung, Verhandlung und Lobbying - geht es bei Swadhina
oft darum, die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Frauen erst zu
entwickeln.

SEWU fördert ausserdem die Ausbildung von Grundfähigkeiten wie
Geschäftsführung und Konfliktbewältigung und weiter spezielle
Fähigkeiten wie Hausbau, Tischlern, Elektrik. Dies sind keine
traditionellen Tätigkeiten für Frauen, aber ein Bereich, in dem sie
gut Geld verdienen und ihre eigenen kleinen Betriebe aufmachen können. Die
Frauen müssen einen geringen Teil dieser Fortbildungen selbst finanzieren,
während SEWU 80% der Kosten übernimmt[6].

Bei Swadhina ist das ökonomische Empowerment von Frauen Schwerpunkt ihrer
Arbeit, da viele Probleme der Frauen ökonomische Ursachen haben. Es
beinhaltet drei Schritte: die Frauen müssen sich bewußt werden,
daß sie in der Lage sind, ökonomisch selbständig zu sein, ihr
Selbstvertrauen muß gestärkt werden und sie müssen verstehen,
daß sie den Männern gleichwertig sind, um gegen Diskriminierungen,
wie z. B. unterschiedliche Löhne, protestieren zu können.
Schließlich müssen sie den Umgang mit Geld erlernen.

Anfangs war die Gesellschaft nicht dazu bereit, starke Frauen zu akzeptieren.
Die Frauen organisieren sich in Basisgruppen und wählen eine
Präsidentin und eine Schatzmeisterin. Es wurden Sparfonds von den Frauen
selbst in den Dörfern gegründet, aus denen sie sich Kredite leihen
können.

MST unterscheidet sich in mehrfacher Hinsicht von SEWU und Swadhina. Die
Bewegung bezieht sich nicht speziell auf das Empowerment von Frauen. MST will
die bestehende Weltordnung herausfordern. Sie haben Organisationen in 23 von 26
brasilianischen Bundesstaaten.

Die Bewegung begann, als einige Familien aus dem Süden nicht umgesiedelt
werden wollten. Sie sagten "wir haben hier Land". Sie forderten Land,
Lebensmittel, Trinkwasser, Saatgut und Würde, das Recht BrasilianerInnen
zu sein.

In ihrer Arbeit brauchen sie öffentliche Unterstützung. Dazu
organisieren sie Märsche, oft wochenlang und über mehrere tausend
Kilometer, bei denen sie unterwegs Menschen besuchen, um ihr Anliegen zu
erzählen und sie für MST zu gewinnen. Sie sind auf die
Unterstützung von Millionen angewiesen, damit sie nicht umgebracht
werden.

Eine Gruppe von landlosen Kindern wollte in die Schule gehen können. Sie
haben sich mit LehrerInnen zusammengetan und die "wandernde Schule"
gegründet, damit möglichst viele Kinder am Unterricht teilnehmen
können.

Empowerment für Entmilitarisierung

Zwei
Beispiele standen hier im Vordergrund: der Kampf der Bevölkerung von
Vieques auf Puerto Rico gegen die scheinbar übermächtige Präsenz
des US-Militärs, das einen Grossteil der Insel Vieques für
militärische Übungen nutzt[7]; sowie
die Bewegung für Kriegsdienstverweigerung in spanischen Staat, die mit
ihrer insumision-Kampagne (totale Kriegsdienstverweigerung) wesentlich
zur Abschaffung der Wehrpflicht beigetragen hat[8].

Aufbau von Gegenmacht

Joanne
Sheehan
aus den USA, Vorsitzende der WRI, erläuterte in ihrem
Beitrag, dass Seattle 1999 mehr war als das Medienereignis, als das es
wahrgenommen wird. Die praktische gewaltfreie Behinderung des Treffens der
World Trade Organisation (WTO) war nur möglich durch eine langwierige
Vorbereitung und Bündnisarbeit[9]. Kritisch
fragte Joanne Sheehan an, ob die einfache Wiederholung von Seattle - in
Washington im April 2000, in Prag, Davos, demnächst in Genua, usw. - eine
erfolgversprechende Strategie gegen die World Trade Organisation bzw. gegen
Globalisierung darstellt, oder ob sich dies nicht letztlich tot läuft.
Seattle hat den Erfolg gebracht, die WTO aus dem Dunkeln ins Licht der
Öffentlichkeit zu bringen - doch wie kann an diesen Erfolg strategisch
sinnvoll angeknüpft werden, um die Macht der WTO zumindest zu begrenzen?

Keith Goddard knüpfte daran an und erläuterte die Strategie
von Gays and Lesbians of Zimbabwe nach den ersten ausfallenden
Äusserungen Mugabe's anhand der Kraftfeldanalyse[10]. Er zeigte auf, wie GALZ die eigenen Kräfte
stärkte, und die gegen GALZ wirkenden Kräfte zu schwächen
versuchte. Dabei wies er darauf hin, dass sich letztlich Mugabe - entgegen der
ursprünglichen Einschätzung - als ein die Bewegung stärkender
Faktor erwies.

Bilanz

Mehr
als neue Antworten hat diese Konferenz neue Fragen aufgeworfen, und alte Fragen
aktuell neu gestellt. "Globalisierung" oder ihre Auswirkungen zog sich auch bei
dieser Konferenz als Thema durch viele Plena und Arbeitsgruppen. Welche
Auswirkungen hat Globalisierung auf die sozialen Bewegungen? Welche
Möglichkeiten bestehen, der "Globalisierung der Konzerne" eine
"Globalisierung von unten" entgegenzusetzen, einen global vernetzten
Widerstand, der durch seine Vielfalt empowernd ist?

Wie steht es um die Frage grundlegender gesellschaftlicher Veränderungen,
die den Kapitalismus nicht nur zu reformieren bestreben, sondern eine
revolutionäre Veränderung anstreben? Trauen wir - mit "wir" meinen
wir hier die War Resisters` International - uns schon nicht mehr, von
Revolution auch nur zu reden (oder warum taucht dieses Wort in der
Prinzipienerklärung von 1997 nicht mehr auf), geschweige denn sie zu
machen? Wie steht es also um unser eigenes Empowerment?


Julia Kraft und Andreas Speck

Kontakt:

War Resisters' International


5 Caledonian Road


London N1 9DX


Großbritannien


Tel.: +44-20-7278 4040


Fax: +44-20-7278 0444


Email: nvse@wri-irg.org

http://wri-irg.org/de/


[1] Zum inhaltlichen Konzept der Konferenz, die
ursprünglich vom 29.12.00-04.01.01 stattfinden sollte, vgl.: Kraft/Speck,
Gewaltfreiheit und gesellschaftliches Empowerment, gewaltfreie aktion
Nr. 123, S. 30-36

[2] Die War Resisters' International
beabsichtigt die Herausgabe eines Buches zur Konferenz. Nähere
Informationen sind bei der WRI erhältlich.

[3] Ellen Elster: Kommentar. In: Das
Zerbrochene Gewehr
Nr. 47/48, Januar 2001, S. 20

[4] vgl. dazu auch das Interview mit Keith
Goddard, "Mugabe's Hunde und Schweine machen mobil", in Rosige Zeiten -
Magazin aus Oldenburg für Lesben und Schwule,
Nr. 73, April-Mai 2001,
S. 21-25; sowie: Keith Goddard: Inside Out, in Das Zerbrochene Gewehr
Nr. 47/48, Januar 2001, S. 9-10

[5] die Fallstudien sind unter
http://wri-irg.org/archive/nvse2001/nvse/nvsecase-en.htm im internet einzusehen. Leider sind
sie bisher nur auf englisch und/oder spanisch erhältlich.

[6] Khoboso Nthunya: Self-Employed Women's
Union, South Africa: In: Case studies submitted to the Nonviolence and Social
Empowerment Conference, Puri, Orissa, India.
http://wri-irg.org/nvse/nvsecase-en.htm

[7] vgl.: Robert L. Rabin Segal: Military
Contamination of the Island of Vieques, Puerto Rico, and the People's Response,
in: Case studies submitted to the Nonviolence and Social Empowerment
Conference, Puri, Orissa, India. http://wri-irg.org/nvse/nvsecase-en.htm

[8] Rafael Ajangiz: Civil disobedience gets rid
of conscription (Spain, 1985-2000), in: Case studies submitted to the
Nonviolence and Social Empowerment Conference, Puri, Orissa, India.
http://wri-irg.org/nvse/nvsecase-en.htm

[9] vgl. dazu u.a.: Vivien Sharples: Ein wahres
Fest des Widerstandes. Die Blockade der WTO in Seattle. In:

graswurzelrevolution Nr. 245, 29. Jg, Januar 2000, S. 1/13; Vivien
Sharples: Ein Organisationsmodell für direkte Aktionen. In: Das
Zerbrochene Gewehr
Nr. 47/48, Januar 2001, S. 18-20

[10] zur Kraftfeldanalyse vgl.: Coover u.a.:
Resource Manual for A Living Revolution. New Society Publishers, Philadelphia,
1985, S. 286/287

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