Freiheit für Maikel Nabil Sanad

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Ägyptischer pazifistischer Blogger zu drei Jahren Gefängnis wegen “Beleidigung des Militärs” verurteilt

Maikel Nabil Sanad während der Revolution, mit einem Protestplakat gegen das Militär. Er wurde am 28. März 2011 festgenommen, und am 10. April 2011 zu drei Jahren Gefängnis wegen „Beleidigung des Militärs“ verurteilt

Maikel Nabil Sanad während der Revolution, mit einem Protestplakat gegen das Militär. Er wurde am 28. März 2011 festgenommen, und am 10. April 2011 zu drei Jahren Gefängnis wegen „Beleidigung des Militärs“ verurteilt

Am 28. März 2011 wurde Maikel Nabil Sanad, Blogger, Pazifist, und Kriegsdienstverweigerer, von Militärpolizei in seiner Wohnung festgenommen, und wegen “Beleidigung des Militärs”, “Verbreitung falscher Informationen”, und “Behinderung der öffentlichen Sicherheit” angeklagt. Weniger als zwei Wochen später – am 10. April 2011 – wurde er von einem Militärgericht zu drei Jahren Gefängnis verurteilt.

Ein bedeutsamer Fall

Der Fall von Maikel Nabil Sanad ist extrem bedeutsam, da er ein Test für die militärischen Machthaber Ägyptens ist, in wieweit sie ihre eigene Übergangsverfassung, die vor wenigen Wochen in einer Volksabstimmung verabschiedet wurde und ungefähr zu der Zeit, zu der Maikel Nabil Sanad festgenommen wurde, in Kraft trat, respektieren. Diese Übergangsverfassung soll angeb­lich die Freiheit der Meinungsäußerung sowie die Pressefreiheit garantieren. Aber – dies scheint nicht die Freiheit, die derzeiti­gen (und faktisch ebenfalls vorherigen) Machthaber – das Militär – zu kritisieren. Die Verurteilung kommt auch zu einer Zeit, in der mehr Menschen in Ägypten das Doppelspiel des Militärs zu verstehen beginnen, und DemonstrantInnen auf dem Tahrir Platz die Abdankung des Verteidigungsministers Mohamed Hussein Tantawi Soliman, der jetzt ebenfalls Vorsitzender des Supreme Council of the Armed Forces, der derzeitigen Regie­rung Ägyptens, ist, fordern. Während der Proteste am 8. April – den größten seit der Abdankung Mubarak's – wurden bis zu acht Menschen vom Militär erschossen, und stundenlang waren Schüsse um den Tahrir Platz zu hören.

Am 7. März veröffentlichte Maikel Nabil Sanad eine detaillierte Analyse der Rolle des Militärs während und nach der Revolution in seinem Blog [1], in dem er darauf hinwies, dass das Militär während der Revolution die Polizei unter­stützte, und selbst nach dem Fall Mubaraks Menschen verhaftete. Er schrieb: “Tatsache ist, die Re­volution konnte bis jetzt den Dik­tator loswerden, aber nicht die Diktatur.”

Das Verfahren

Das Verfahren vor dem 10. Ramadan Militärgericht in Nasr City, Kairo, entsprach nicht der Standards für ein faires Gerichts­verfahren, wie sie in Artikel 14 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR) festgeschrieben sind. Es gibt zahlreiche Verletzungen dieser Standards:

  • zu aller erst hätte Maikel Nabil Sanad als Zivilist nicht vor ein Militärgericht gestellt werden dürfen. ZivilistIn­nen sollten nur in Ausnahmen vor Militärge­richte ge­stellt werden, während dies im nach-revo­lutionären Ägypten die Regel zu sein scheint.
  • Maikel Nabil Sanad und seine AnwältInnen hatten wenig Zeit für die Vorbereitung der Verteidigung. Auch wenn das Verfahren mehrfach vertagt wurde, so dauerte es doch insgesamt weniger als zwei Wochen, mit weniger als einer Woche von der Vorlage der Beweise der Anklage bis zu den Plädoyers der Verteidigung.
  • Der interessierten Öffentlichkeit, einschließlich eines Beobachters der War Resisters' International, der von London nach Kairo gereist war, war die Teilnahme am Verfahren nicht möglich. Dies ist eine gravierende Verletzung des Prinzips einer öffentlichen Gerichts­verhandlung.
  • Am Tag der Verurteilung (10. April) wurde seinen AnwältInnen und seiner Familie gesagt, dass die Verurteilung auf den 12. April vertagt würde, doch dann wurde er am 10. April in ihrer Abwesenheit verurteilt. Das war ein fieser Trick, um ihm gar das Recht auf Rechtsbeistand bei der Verurteilung zu verweigern, und hinterließ ihn allein, ohne seine AnwältInnen und ohne seine Familie.

Neben diesen Verfahrensfehlern ist der Verfahren selbst eine klare Verletzung von Artikel 19 des Internationalen Zivilpaktes, der die Meinungs- und Ausdrucksfreiheit garantiert. Nach dem Menschenrechtskomitee der Vereinten Nationen beinhaltet dies das Recht, die Autoritäten sowie das Militär zu kritisieren [2].

Das Militär im nach-revolutionären Ägypten

In einem Brief, den Maikel Nabil Sanad aus dem Gefängnis schmuggeln konnte, schrieb er, dass er verhaftet wurde, um ihn daran zu hindern, mehr über die Rolle des Militärs zu veröffentlichen – ihn zum Schweigen zu bringen.

n seinem Blog-Beitrag vom 7. März hob Maikel Nabil Sanad folgendes hervor:

Die ägyptische Armee hat zu keiner Zeit Partei für die Protestierenden ergriffen. Sie hat die Polizei, die versuchte, die Demonstrationen zu unterdrücken, mit Munition versorgt, war an der Festnahme, Inhaftierung und auch der Folter von Protestierenden sowohl vor als auch nach der Abdankung Mubaraks beteiligt, und bemüht sich mit zahlreichen Mitteln den Einfluss der Revolution zu unterdrücken oder zu begrenzen. Viele Menschen protestieren weiterhin, und fordern einen zivilen Rat an Stelle des Supreme Council of the Armed Forces.

Der Bericht identifiziert drei Phasen in der Revolution:

Erste Phase: vor Samstag, 29. Januar 2011 (d.h. bevor die Armee die Straße übernahm)

Die ägyptische Revolution begann am 25. Januar 2011, und Hunderttausende Ägypter gingen in den ersten 4 Tagen der Revolution auf die Straße; die Polizei konfrontierte sie mit Brutalität, tötete mehr als 500 Demonstranten und verletzten mehr als 6000, zusätzlich zu den 1000 Vermissten (es stellte sich später heraus, dass sie im Innenministerium hinter Gitter sitzen). Nun, wie reagierte die Armee?

1. Sami Annan, der Personalchef der ägyptischen Armee, besuchte die USA und versicherte der Obama-Administration, dass die ägyptische Armee Mubarak-treu ist und Mubarak nie verlassen würde (siehe den ausführlichen Text für Quellen von der US Nachrichtenagentur Startfor und der ägyptischen Tageszeitung Al-Masry Al-Youm).

2. Die Armee liefert der Polizei Munition, um die DemonstrantInnen zu töten. Am 28. Januar setzte die Polizei Tränengas, Rauchbomben, Gummigeschosse und scharfe Geschosse ein, um die zehntausende DemonstrantInnen anzugreifen, die den Tahrir-Platz besetzt hatten. Wenn der Polizei die Munition ausging fuhren Jeeps des Militärs durch die Menge, um die Polizei mit Munition zu versorgen, mit der diese auf die Protestierenden schoss. Die Militärpolizei intervenierte auf die gleiche Art ein zweites Mal, als der Polizei erneut die Munition ausging. Als Antwort haben die DemonstrantInnen zwei Jeeps der Militärpolizei und ein gepanzertes Fahrzeug des Armored Corps angesteckt und vier Panzer erobert.

Zweite Phase: vom 29. Januar bis zur Rücktrittsrede am 11. Februar 2011 (14 Tage)

Ab den Morgenstunden des Samstags, 29. Januar 2011, und nachdem die Demonstranten ein paar der Panzer der Armee erobert und die Waffen verbrannt hatten, änderte das Militär seine Taktik. Armeeoffiziere begannen, mit den Demonstranten zu sprechen, sie zu beruhigen. Diese neue Phase der Beziehungen zwischen den Protestierenden und dem Militär basierte auf Konfliktmanagement durch indirekte Mechanismen wie z.B.:

  • Blockade der RevolutionärInnen und Verhindern, dass die Demonstrationen den El-Tahir-Platz verlassen, besonders in Richtung des Innenministeriums und der Parlaments­gebäude ... während der letzten drei Tage der Mubarak-Regierung, d.h. vor seinem Rücktritt, geriet die Sache außer Kontrolle und die Armee akzeptierte "de facto", dass die Demonstrationen den Platz verließen, aufgrund dessen, dass die Armee keine direkten Zusammenstöße mit den RevolutionärInnen haben wollte.
  • Einnahme einer Position passiver Neutralität, während sie gleichzeitig die Polizei und Mubaraks Schläger unter­stützte. Die Armee hat in vielen Erklärungen behauptet, sie wird die Protestierenden schützen. Nach der zweiten Rede von Mubarak Dienstagnacht, 1. Februar, überfluteten Mas­sen von Verbrechern die Straßen und riefen, Mubarak solle bleiben; und die Armee verhielt sich immer noch neutral. Sie bleibt auch in den folgenden zwei Tagen neutral, als Schläger die Demonstrierenden mit Kamelen und Pferden angriffen, und zehn Demonstrierende töteten sowie 1500 verletzten. Die Schlägern durften auch auf den El-Tahrir-Platz überragenden Gebäude steigen, um Molotov-Cocktails auf die Demonstranten zu werfen.
  • Die Beteiligung des ägyptischen Geheimdienstes an einem Versuch, durch ein paar Politiker die RevolutionärInnen zu veranlassen, den Tahrir-Platz zu verlassen. Eines der Dokumente, das aus dem Sicherheitshauptquartier in Nasr City am 5. März gestohlen wurde, deckt auf, dass ein Major in den Streitkräften mit Namen "Khalid Mohamed Mohsen Sharkawy" den Generalsekretär der Arabischen Liga, Amr Mousa, besuchte und in bat, den Demonstranten zu sagen, den El-Tahrir-Platz zu verlassen. Er folgte dieser Bitte, und bat die DemonstrantInnen zu akzeptieren, was Mubarak in seiner zweiten Rede angeboten hatte.
  • Die Verhaftung, Misshandlung und Folter von Demonstran­tInnen, und die Durchsuchung des Büros von Amnesty International (3. Februar), des Heshm Mubarak Centre for Human Rights und anderer internationaler Menschen­rechts­organisationen, die Beschlagnahme ihrer Unterlagen sowie die Festnahme ihrer führenden MitarbeiterInnen.
  • Am 30. Januar wurde Malek Adly verhaftet, am 3. Februar der Blogger "Sand Monkey" auf seinem Weg – zusammen mit Sanitätern – zum Tahrir-Platz. Ein paar Stunden später wurde sein Blog gesperrt. Am 4. Februar, wurden Wael Abbs, der Blogger und Maikel Nabil Sanad verhaftet und am 6. Februar der Blogger, Kareem Amer. Man schätzt die Zahl der während dieser zwei Wochen verhafteten DemonstrantInnen auf mehr als 10.000; eingesperrt in mehreren militärischen Haftanstalten in Kairo und anderen Teilen Ägyptens. Diese DemonstrantInnen erzählten nach ihrer Freilassung Geschichten von Folter und Tötung vieler DemonstrantInnen durch die Offiziere der Armee und den Geheimdienst.

Das Dokument fährt mit zahlreichen ZeugInnenaussagen fort, einschließlich der des Autors, der nach seiner Verhaftung geschlagen wurde und sexueller belästigt wurde. Es weist ebenfalls auf einen Bericht von Chris Greal im Guardian vom 9. Februar hin, der Menschenrechtsorganisationen zitiert, die erklärten, dass die Armee an Festnahmen, dem Verschwinden­lassen und Folter beteiligt war, sowie auf einen Bericht von Amnesty International (17. Februar), der ZeugInnenaussagen junger AktivistInnen beinhaltete, die von Militärpolizei festge­nom­men und mit Peitschen und Elektroschocks gefoltert wurden.

  • Versuche, den Tahrir-Platz einzunehmen. Die Armee versuchte während der Zeit vom 4. bis 10. Februar 2011 mehr als einmal, auf den Tahrir-Platz einzumarschieren, um die Demon­strantIn­nen zu entfernen. Das resultierte in mehreren Zusammen­stößen zwischen den Protestie­ren­den und der Armee; einer dieser Zusammenstöße war der in der Nacht vom 6. Februar, als die Truppen neben dem Ägyptischen Museum versuchten, auf den Platz vorzurüc­ken, aber auf die Protestierer trafen, die eine Menschen­kette bildete, um das zu verhindern. Deshalb schoß die Armee in die Luft, um die DemonstrantInnen zu erschrecken, und verhafteten drei DemonstrantInnen, deren Schicksal bis heute ungewiss ist.

Die dritte Phase: Nach der Rücktrittsrede (vom 12. Februar bis zur Zeit der Erstellung des Bericht im März 2011)

Nach der Rücktrittsrede nahm die Armee eine Medienhaltung ein, die zeigen sollte, dass sie sich der Revolution angeschlossen haben, aber gleichzeitig tat sie alles, um die Unterdrückung der Revolution sicherzustellen oder zumindest zu garantieren, dass diese keine Vorteile gewinnen kann. Sie ergriff unter anderem folgende Maßnahmen:

  • Das Vebot, auf dem Tahrir-Platz zu fotografieren. Das Ziel war, Ziel, die RebellInnen emotional von den anderen ÄgypterInnen zu isolieren. So begannen die schwer angegriffenen Revolutio­närInnen sich von ihrem eigenen Volk verlassen zu fühlen. An­dererseits fing der Rest der ÄgypterInnen an, sich zu wundern, aus welchen Gründen diese "anderen Leute" revoltierten, da sie keine Ahnung hatten, wie stark diese unterdrückt und attackiert wurden.
  • Manipulation und Kontrolle der Medien. Zu diesem Zweck wurden verschiedene Methoden eingesetzt. Zum Beispiel trafen sich am 15. Februar 2011 einige der Offiziellen im Höheren Rat mit den leitenden RedakteurInnen der Zeitungen und Medien und gaben klare Kommandos, alle Diskussionen über den Reichtum Mubaraks einzustellen. Am 26.Februar 2011 wurde Generalmajor Tarek El-Mahdi zum Generalsupervisor über die Fernseh- und Radiounion ernannt, was dazu führte, dass es in Ägypten von einer innerhalb der Armee bestehenden Abteilung geleitete Medien gab.
  • Die Armee zwang Mobiltelefonfirmen, SMS-Nachrichten an Leute zu schicken, um diese vor der Teilnahme an sit-ins zu warnen und aufzufodern, sich gegen die Protesteste zu stellen.
  • Weitere Versuche der gewaltsame Auflösung der Demonstra­tionen auf dem Tahrir-Platz. Am 14. Februar wurden viele ver­letzte Personen zum Qasr Al-Ainy-Hospital gebracht. Die Militär­polizei verletzte sie während der gewaltsamen Zerschla­gung der Demonstrationen. Dann veröffentlichte die Armee eine Er­klä­rung, in der sie die BürgerInnen warnte, nicht zu demon­strieren.

Der Bericht beschreibt weitere Beispiele von Angriffen der Armee auf DemonstrantInnen nach der Abdankung Mubaraks, und beinhaltet weitere ZeugInnenaussagen zu Festnahmen, Inhaftierung und Folter. Er hebt hervor, dass die Armee weiterhin eine Ausgangssperre durchsetzt, und sich weigert, den Ausnahmezustand aufzuheben. Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass, obwohl die Armee behauptet, sich der Revolution angeschlossen zu haben, sie permanent ihre Forderungen umgeht und einen unangemessenen Einfluss auf die neue Verfassung ausüben könnte.

Maikel Nabil Sanad's Text findet sich vollständig in deutscher Übersetzung unter http://wri-irg.org/de/node/12815

Seitdem Maikel Nabil Sanad seinen Bericht veröffentlicht hat, haben andere Personen und Organisationen mehr Fakten zur Repression durch das Militär seit der Resignation Mubaraks veröffentlicht. So berichtete Channel 4 am 7. April über Folter­vorwürfe, willkürliche Verhaftungen und Scheinverfahren durch das ägyptische Militär [3]. Nach einem Artikel in der Washington Post vom 2. April 2011, wurden mindestens 5,000 Menschen von Militärgerichten seit dem 28. Januar 2011 verurteilt [4].

Anmerkungen

[1] Eine deutsche Übersetzung des Blog-Beitrags findet sich unter http://wri-irg.org/de/node/12815
[2] Human Rights Committee: Draft General Comment No. 34 on article 19 after the first reading by the Human Rights Committee, 25 November 2010, http://www2.ohchr.org/english/bodies/hrc/docs/CCPR.C.GC.34.CRP.4.doc
[3] Channel 4: Egypt. After the revolution, allegations of military abuse, 7 April 2011, http://www.channel4.com/news/egypt-after-the-revolution-allegations-of-…
[4] Washington Post: Egypt’s military keeping repressive practices in place, 2 April 2011, http://www.washingtonpost.com/world/egypts-military-keeping-repressive-…

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