Kolumbien – die Realität von Kriegsdienstverweigerung in einem bewaffneten Konflikt

de
en

Bericht zu einem Besuch in Kolumbien im Mai/Juni 2010


Andreas
Speck
, Mitarbeiter der War Resisters' International und
verantwortlich für
das Programm Das Recht, das Töten
zu verweigern
1,
besuchte Kolumbien vom 19. Mai bis zum 12. Juni 2010. Während
seines Besuches sprach er auf zwei Konferenzen zur
Kriegsdienstverweigerung, und besuchte Gruppen und Einzelpersonen,
die zu KDV arbeiten, in Bogota, Sincelejo, Medellin, Cali, Villa
Rica, und Barrancabermeja. Dieser Bericht gibt einen Überblick
zur Situation der KDVerInnen und deren Arbeit in Bezug zum
bewaffneten Konflikt in Kolumbien.




Einleitung

Karte Kolumbiens, gespeichert mit Marble Desktop Globe<br />
	(http://edu.kde.org/marble/). Data: Micro World Data Bank in Polygons ("MWDB-POLY / MWDBII"), CIA ; Global Associates, Ltd.; Fred Pospeschil and Antonio Rivera
Karte Kolumbiens, gespeichert mit Marble Desktop Globe
(http://edu.kde.org/marble/). Data: Micro World Data Bank in Polygons ("MWDB-POLY / MWDBII"), CIA ; Global Associates, Ltd.; Fred Pospeschil and Antonio Rivera
Die
Arbeit der War Resisters' International zu KDV in Kolumbien hat einen
lange Geschichte – die WRI war an der Solidaritätsarbeit
für Luis Gabriel
Caldas Le
ón2
im Jahr 1995 beteiligt. Eine engere Zusammenarbeit mit der
KDV-Bewegung in Kolumbien begann jedoch in 2006 mit der Entwicklung
einer gemeinsamen Strategie für
die Begleitung und Unterstützung
von KriegsdienstverweigererInnen, die am 15. Mai 2007 öffentlich
gemacht wurde3.
Neben der Begleitung und Unterstützung
in konkreten Fällen
– insbesondere in Fällen
der Rekrutierung von KDVern – hat sich War Resisters' International
auch mit dem Lobbying internationaler Institutionen und der
kolumbianischen Regierung beschäftigt.






Seit
1995
– und
auch im Vergleich zu 2006
– hat
sich der rechtliche Rahmen für
KDV in Kolumbien verbessert.
Und
es kann wohl gesagt werden, dass die Arbeit der WRI dazu beigetragen
hat. Die wichtigste Veränderung
ist, dass im Oktober 2009 das Verfassungsgericht Kolumbiens geurteilt
hat, dass es in Kolumbien unter der kolumbianischen Verfassung ein
Recht auf KDV gibt
– das
ist eine signifikante Änderung
im Hinblick auf frühere
Rechtsprechung des Gerichts4.
Das
Gericht forderte den kolumbianischen Kongress auf,
ein Gesetz zu verabschieden, mit dem dieses
Recht umgesetzt und reguliert werden würde.
Hiermit beginnen die Probleme, doch mehr dazu später.






Der
zweite positive Aspekt ist eine Klarstellung zur Legalität
der üblichen Rekrutierungsform der 'batida' - Kontrollen
Jugendlicher auf der Straße
und auf öffentlichen Plätzen, während denen diejenigen, die nicht
nachweisen können, dass sie ihren Wehrdienst geregelt haben,
zwangsrekrutiert werden.
Im
Jahr
2008 erklärte
die Arbeitsgruppe
zu willk
ürlichen
Verhaftungen

der Vereinten Nationen
deutlich, dass
die
Praxis der batidas oder Rekrutierungskontrollen, bei denen junge
M
änner,
die keinen Nachweis ihres Milit
ärdienststatus
vorzeigen k
önnen
in der Straße oder auf
öffentlichen
Pl
ätzen
festgenommen werden, weder eine rechtliche Grundlage hat, noch eine
legale Basis.
5.
Außerdem
forderte das Menschenrechtskomitee der Vereinten Nationen in seinen
abschließenden Bemerkungen vom Juli 2010 von Kolumbien, die Praxis
der 'batidas' zu revidieren6.


Das
kolumbianische Militär
sah sich gezwungen wiederholt zu erklären,
dass es keine 'batidas' durchführt7.
Die
Praxis sieht jedoch anders aus8,
und
wenn es Änderungen
gab, dann mit Sicherheit nicht zum besseren.




Die Situation von KDVern heute

In
einem Land wie Kolumbien, mit großen regionalen Unterschieden,
unterscheidet sich auch die Situation von KDVern von Region zu Region
– nicht in Bezug auf das Recht, sondern in Bezug auf die Praxis.
Ein wesentlicher Unterschied besteht zwischen den großen Städten
und ländlichen Regionen – und in den Städten
zwischen den wohlhabenderen Stadtteilen und den ärmeren Vierteln.
Doch es gibt auch bemerkenswerte Unterschiede zwischen verschiedenen
ländlichen Regionen.


Bogotá


Am
19. Mai kam ich aus Buenos Aires, wo ich nach mehr als einer Woche in
Asunción
in Paraguay einen kurzen Aufenthalt hatte, in Bogotá
an. Ich war von der Acción
Colectiva de Objetores y Objetores de Conciencia
(ACOOC)9
zu einer internationalen Konferenz eingeladen worden, die am 2. Juni
2010 stattfand.

Anti-batida Poster, produziert von ACOOC
Anti-batida Poster, produziert von ACOOC
Bei der
Organisation dieser Konferenz arbeitete ACOOC mit der schwedischen
NGO Civis, der Grupo de Derecho de Interés Público
Universidad de los Andes, und CINEP - Centro de
Investigación y Educación Popular
zusammen. Eines der Ziele der
Konferenz war die Analyse der rechtlichen und praktischen Situation
der KDV nach dem Urteil des Verfassungsgerichts. Eine der
Schwierigkeiten war jedoch (und ist es auch noch zum Zeitpunkt der
Verfassung dieses Artikels), dass das Urteil selbst immer noch nicht
veröffentlicht ist. Auch wenn das Urteil vom 14. Oktober 2009 ist,
bis heute – neun Monate später – ist nur die Pressemitteilung
des Verfassungsgerichts erhältlich10.



Bei
der Konferenz sprachen eine Reihe internationaler und nationaler
RednerInnen. In meiner eigenen Präsentation
konzentrierte ich mich auf die möglichen
Strategien und die Herausforderungen für
die KDV-Bewegung nach dem Urteil des Verfassungsgerichts, und wies
auf die Notwendigkeit hin, KDV als antimilitaristische Perspektive zu
propagieren. Ich warnte außerdem vor Lobbying für
ein KDV-Gesetz, da im derzeitigen politischen Klima ein Gesetz mit
hoher Wahrscheinlichkeit sehr schlecht sein wird, und weit davon
entfernt, die internationalen Standards zu KDV zu implementieren11.



Ein
anderer Aspekt ist die Rekrutierungspraxis. ACOOC dokumentiert nicht
nur 'batisas', sondern auch Regelverstöße
bei den normalen “jornadas de reclutamiento”, den massiven
Rekrutierungstagen etwa viermal im Jahr. Auch wenn dies die legale
Form der Rekrutierung ist, so werden Jugendliche, die sich bei den
Rekrutierungszentren melden, oft nicht über ihre Rechte informiert,
und Gesundheitsprobleme oder Freistellungs- sowie
Zurückstellungsgründe
werden ignoriert. ACOOC arbeitet daher zu Informationen zur
Illegalität der Batidas, und zu den Rechten von Jugendlichen im
Rekrutierungsprozess.







An
einem Abend fuhr ich nach Soacha, einer kleinen Stadten am Rande
Bogotas, zu einer Präsentation
des Berichts Soacha: Lu punta del iceberg. Falsos positivos e
impunidad
12
(Soacha: Die Spitze des Eisbergs. Falsche Positive und Straffreiheit)
der Fundacion para la Educacion y el Desarollo (FEDES). Der
Bericht dokumentiert die Fälle
von 16 sogenannten „falschen Positiven“, normaler Jugendlicher
oder gar Wehrpflichtiger, die vom Militär
ermordet und dann als Mitglieder der Guerilla präsentiert
werden. Diese 16 Fälle
sind nur die Spitze des Eisbergs – Schätzungen
zur Zahl der falschen Positiven gehen bis zu 3000 Fällen.



Viele
Jugendliche in Soacha denken darüber
nach, ihre KDV zu erklären,
auch als eine Konsequenz ihrer eigenen Erfahrungen von Gewalt13.



Sincelejo / Sucre


Von
Bogota reiste ich zu einem Treffen mit AktivistInnen von PazCaribe
Sincelejo
14
und Red Juvenil Sincelejo in Tolu, ein kleiner kolumbianischer
Ferienort an der karibischen Küste, in der Nähe von Montes de
Maria. Die Situation in Sincelejo und im Department Sucre
unterscheidet sich stark von der in Bogota. PazCaribe Sincelejo
arbeitet in Montes de Maria, einer kleinen Region im Norden der
Departments Sucre und Bolivar, die als Ort des Peace Laboratorio
III der Europäischen
Kommission ausgewählt
wurde15.



Das
Land der Region, 15 Gemeinden in den Departments Sucre und Bolivar,
ist eines der besten im Land. Die Zone ist von strategischer
Bedeutung, mit felsigen Gebieten mit vielen Möglichkeiten,
sich zu verstecken, und in der Mitte zwischen Coca produzierenden
Regionen nahe bei und der Karibischen See. Während
in den Montes de Maria kein Coca angebaut wird, so ist aber der Golf
von Morrosquillo, eine Bucht in der Küste
südlich von San Onofre, schon seit langem ein Ausgangspunkt für
Bote beladen mit Tonnen von Kokain.



Auf
Grund des fruchtbaren Bodens besteht wachsenden Interesse am Anbau
von Ölpalmen (palma
africana) für die
Produktionen von Palm-Öl,
und von Zuckerrohr (für
die Produktion von Ethanol) – beides mit gravierenden ökologischen
und sozialen Auswirkungen. Im Interesse des Agrobusiness müssen
die lokalen Bauern/Bäuerinnen
vertrieben werden, um Platz zu schaffen für
den Anbau von Ölpalmen
und Zuckerrohr.



Als
Konsequenz war die Region in der letzten Dekade Schauplatz von Gewalt
und Vertreibung, im wesentlichen als Folge von Aktionen der Guerilla,
der Paramilitärs, sowie des kolumbianischen Militärs, und erst in
den letzten Jahren kehrten einige der Vertriebenen zurück. Im Mai
2010 wurde der Vorsitzende der regionalen Organisation der Opfer,
Rogelio Martínez, von Paramilitärs ermordet16.


Dies
ist der Kontext der KDV in Sucre und insbesondere in Montes
de Maria
.
PazCaribe,
und
insbesondere
Red Juvenil PazCaribe,
arbeiten
mit Jugendlichen in
Montes de Maria im
wesentlichen zu Empowerment und der Prävention
von Recrutierung
(“Si
Quieres la Paz? No te Prepares para la Guerra!!!
” –
Wenn Du wirklich Frieden willst, dann bereite Dich nicht auf Krieg
vor!!!).
In
dieser Arbeit nutzen sie Kunst und Musik als eine Form, die
Bedürfnisse
und Ideen der Jugendlichen auszudrücken.



Red
Juvenil PazCaribe ist eine aktive Bewegung die mit Jugendlichen,
Organisationen, Kirchen, Einzelpersonen und Gruppen arbeitet, die an
den Aufbau einer besseren Karibik glauben, und daher sich bewusst
allen Ausdrucksformen und Aktionen, die Gewalt fördern,
verweigern. Neben der Arbeit zu KDV organisiert Red Juvenil PazCaribe
Workshops zu aktiver Gewaltfreiheit17.



Derzeit
diskutieren die WRI und PazCaribe, wie der Besuch von
Kurzzeit-Freiwilligen nach Sincelejo organisiert werden kann, sowie
die Möglichkeit
anderer Formen der Solidarität.
Ausserdem gibt es die Idee einer Rundreise von KDVern aus Sucre und
Bolivar nach Europa oder den USA.



Barrancabermeja


Barrancebermeja
ist eine Industriestadt am Rio Magdalena, in der Region Magdalenia
Medio im Department Santander. In Barrancabermeja befindet sich die
größte Ölraffinerie Kolumbiens, die der staatlichen Ölgesellschaft
Ecopetrol gehört. Öl und Landwirtschaft sind die
wesentlichen wirtschaftlichen Aktivitäten in der Stadt.



Barrancabermeja
war der Schauplatz intensiver Auseinandersetzungen zwischen den
verschiedenen bewaffneten Gruppen in Kolumbiens andauerndem
BürgerInnenkrieg. Am
16. Mai 1998 zog eine große Gruppe Paramilitärs durch die Stadt,
tötete 11 Menschen
und entführte 25, die später ebenfalls ermordet wurden. Dieses
Massaker markierte den Anfang der Übernahme
der Stadt durch die Autodefensas Unidas de Colombia (AUC),
dessen Höhepunkt im
Jahr 2001 war. Im letzten Jahr der Invasion wurden 539 Menschen
getötet. Auch wenn die AUC offiziell 2006 demobilisiert wurde, so
sind doch Nachfolgegruppen wie die Aguilas Negras (Schwarze
Adler) noch immer in der Stadt aktiv, und Todesdrohungen gegen
MenschenrechtsaktivistInnen sind häufig.



Die
Revolutionary Armed Forces of Colombia (FARC), die größte
Guerilla-Gruppe Kolumbiens, ist auch weiterhin im Hügelland
in der Umgebung der Stadt aktiv.



Die
örtliche KDV-Gruppe
Quinto Mandamiento18
entwickelte sich aus der
Organización Feminina Popular19,
eine der größten
Frauenfriedensorganisationen des Landes. Die Arbeit von Quinto
Mandamiento
in den letzten Jahren ist sehr beeindruckend. Mein
erster Besuch in Barrancabermeja war im Mai 2007, als der KDVer
Carlos Andres Giraldo Hincapie20,
der in einer batida rekrutiert worden war, gezwungen wurde, seinen
Militärdienst in
Barrancabermeja abzuleisten. Damals hatten wir ein Treffen mit den
lokalen Offizieren des Militärs,
die darauf bestanden, dass die Rekrutierung von Carlos Andres Giraldo
Hincapie legal war. Auch wenn die Arbeitsgruppe zu willkürlichen
Verhaftungen der Vereinten Nationen dem widersprach21,
so kam dies doch zu spät
Carlos Andres Giraldo Hincapie.



Am
3. Juni hatten wir erneut ein Treffen, an dem auch das Militär
beteiligt war, doch an dem auch VertreterInnen anderer NGOs und des
Büros des
Bürgermeisters
teilnahmen, das seit der Wahl von Carlos Alberto Contreras im
Jahr 2007 fortschrittlicher ist. Während
des Treffens wurde sehr klar, dass sich das Militär
unter einem Rekrutierungsdruck befindet, und ohne batidas nicht in
der Lage ist, ausreichend zu rekrutieren, schlicht und einfach weil
viele Jugendliche dem Aufruf nicht folgen. Folglich leugneten die
lokalen Kommandeure dass die Batidas illegal wären,
auch wenn das nationale Rekrutierungsbüro
sowie das Verteidigungsministerium dazu klar Stellung genommen haben.



Auch
wenn es derzeit Einigung dazu zu geben scheint, dass bekannte
Mitglieder von Quinto Mandamiento nicht rekrutiert werden, so ist das
trotzdem problematisch. Auf der einen Seite ist es fraglich, ob es
klug ist, dem Militär
die Namen und ID-Nummern von KDVern zu geben. Auf der anderen Seite
kann auch jemand, der nicht auf der Mitgliederliste von Quinto
Mandamiento ist, ein KDVer sein. Und als ich darauf bestand, dass
auch bereits Dienst tuende Wehrpflichtige eine KDV entwickeln können,
und das Recht auf KDV haben, konnte man in ihren Gesichtern sehen,
dass ihnen das überhaupt nicht gefiel.



Auch
für Barrancabermeja
war eine Konferenz zum Thema KDV organisiert worden, mit einem etwas
anderem Programm, und einem anderen Publikum. Etwa 200 Personen –
im wesentlichen Jugendliche – nahmen an der Konferenz teil, und die
Vorträge
konzentrierten sich mehr auf das Recht auf KDV, und die Rechte
Jugendlicher in Situationen der Rekrutierung.



Am
naechsten Morgen hatten wir ein Treffen an dem Mitglieder einer
Jugendgruppe aus der Umgebung von Barrancabermeja, Quinto
Mandamiento, Red Juvenil de Medellin, ACOOC, Civis, und die WRI
teilnahmen. Die Berichte, insbesondere aus den ländlichen Gebieten,
die wir dort hörten, machten sehr deutlich, dass die Rekrutierung
durch das Militär
einen Angriff auf die Freiheit Jugendlicher darstellt. Wir hörten,
dass das Militär im
wesentlichen immer da präsent ist, wo sich Jugendliche treffen –
bei Fußballspielen, Konzerten, Fiestas, usw. Die Präsenz
von Militärs, die bei solchen Veranstaltungen die Papiere von
Jugendlichen prüfen,
führen dazu, dass es
für junge Männer
eine riskante Angelegenheit ist, auszugehen und sich zu vergnügen
– er könnte sich
schneller als im lieb ist beim Militär wiederfinden.



Cali


Nach
meinem kurzen Aufenthalt in Barrancabermeja reiste ich nach Cali, um
die dortige kleine KDV-Gruppe – das Colectivo Objetarte22
– zu besuchen. Die Gruppe in Cali war schon immer klein, doch
derzeit ist sie ganz besonders schwach, und konzentriert sich mehr
auf kulturelle Aktivitäten
um Gewaltfreiheit und KDV zu propagieren. Als ich da war stand gerade
ein Konzert, geplant für den 20. Juli, an.



Villa Rica


Villa
Rica ist eine kleine Stadt mit Afro-kolumbianischer Bevölkerung
in Norte del Cauca, ca 30 Minuten von Cali entfernt. Dort arbeiten
zwei Organisationen zum Thema KDV – die Corporacion Colombia
Joven
, und Fundacion Villa Rica, besser bekannt unter dem
Namen eines ihrer kulturellen Projekte, der Hip Hop-Gruppe Soporte
Klan
.



Ein
wichtiger Teil der Arbeit beider Organisationen ist die
Wiederentdeckung des kulturellen Erbes der Afro-KolombianerInnen, die
als SklavInnen nach Kolumbien gebracht wurden, um auf den
Zuckerrohrplantagen zu arbeiten. Die Sklaverei wurde erst 1851
abgeschafft, und Villa Rica war eine der letzten Städte,
in denen SklavInnen ihre Freiheit erhielten.



Bis
heute ist Villa Rica von Zuckerrohr umgeben, und nur wenige Familien
sind noch im Besitz von Land, und bauen auf ihrer 'finca' ihr Obst
und Gemüse an. Vor Jahrzehnten wurden die meisten gezwungen, ihr
Land an die Zuckerbarone zu verkaufen.



In
der Vergangenheit funktionierte der Landraub der Zuckerbarone auf
eine kluge, aber sehr schmutzige Art und Weise: Wenn sich eine
Familie weigerte, ihr Land zu verkaufen, dann wurde ihr Land aus der
Luft mit Pestiziden begast, um die Ernte zu zerstören. Ohne eine
Ernte war die Familie dann ein leichtes Opfer der Agenten der
Zuckerbarone, die ihnen Geld für die Verpachtung des Landes für
eine Anbauperiode anboten. Dann wurde Zuckerrohr angebaut, und es
wurden viele Pestizide eingesetzt, so dass nach der Rückgabe des
Landes der Boden ausgelaugt war, und die Familie es nicht für den
eigenen Anbau nutzen konnte. Und so schickten die Zuckerbarone erneut
ihre Agenten und boten an, das Land zu kaufen – aber billig. Viele
Familien sahen keine anderen Optionen, und verkauften. Druck und
Drohungen von Paramilitärs wurden eingesetzt, um den Verkaufsdruck
zu erhöhen.



Heute
gibt es wieder Druck auf die verbleibenden Familien, ihr Land zu
verkaufen. Soporte Klan hat eine Kampagne unter dem Titel Haga
que pase
(Mach, dass es geschieht) begonnen, um diese Familien zu
unterstützen, und um einen Teil des Landes, das verloren gegangen
ist, zurück zu fordern.



Da
dieser Landraub an der Wurzel des bewaffneten Konfliktes in Kolumbien
liegt, ist KDV Teil dieser Arbeit, und mehr noch die Verhütung von
Rekrutierung. Aufgrund der wirtschaftlichen Situation vieler
EinwohnerInnen von Villa Rica wird der Militärdienst, trotz
schlechter Bezahlung, oft als Weg aus der Armut angesehen –
zumindest muss für die Zeit des Militärdienstes für eine Person
weniger für Essen und Unterkunft gesorgt werden.


Medellin



Medellin,
die zweitgrößte Stadt Kolumbiens, ist eines der Zentren der
kolumbianischen KDV-Bewegung. Red Juvenil de Medellin23
ist ein einigermaßen starkes Jugendnetzwerk, und dessen Arbeit
beinhaltet auch die Propagierung der KDV, zusammen mit nicht-formaler
Bildung, aktiver Gewaltfreiheit, und von Kunst und Musik im
Widerstand.



In
den Armenvierteln Medellins und an Verkehrsknotenpunkten des
öffentlichen Verkehrs sind 'batidas' häufig.
Doch neben der Rekrutierung durch das offizielle Militär
des Staates gibt es auch Rekrutierung durch die Paramilitärs,
Drogenkartelle, und die Guerilla. Gewalt und Kriminalität sind weit
verbreitet – und im wesentlichen sind dies Gewalt und Kriminalität
mit Armen als TäterInnen
und Opfern. Die wohlhabenderen Schichten leben in Wohnvierteln mit
privaten Sicherheitsdiensten, umgeben von elektrischen Zäunen.



Red
Juvenil hat viel zur Aufklärung Jugendlicher über ihre Rechte in
Situationen der Rekrutierung gearbeiten, und insbesondere zur
Illegalität der Batidas, und zum Recht auf KDV. Als Teil dieser
Arbeit gehen sie an Tagen massiver Rekrutierung zu den
Rekrutierungsstationen und verteilen Information, und sprechen mit
Jugendlichen, die dort in der Schlange stehen, um rekrutiert zu
werden, und die sich ihrer Rechte oft nicht bewusst sind.



Red
Juvenil bietet auch rechtliche, politische, und moralische
Unterstützung für KDV, oder für junge Menschen, die gegen ihren
Willen rekrutiert wurden.



Im
Red Juvenil ist die Arbeit zu KDV Teil der antimilitaristischen
Perspektive, basieren auf Gewaltfreiheit als Lebensperspektive.





Wie weiter nach dem Urteil des
Verfassungsgerichts?


Auch
wenn das Urteil des Verfassungsgerichts einen bedeutenden Sieg
darstellt, so stellen sich damit neue Fragen für die KDV-Bewegung.
Ein Problem im Moment ist, dass der Wortlaut des Urteils noch nicht
bekannt ist – mehr als neun Monate später.
Das heißt, es ist derzeit nicht bekannt, welche Einschränkungen
des Rechts auf KDV vom Gericht als legitim angesehen werden.



Für
die Zeit vor der Verabschiedung eines Gesetzes durch den Kongress
Kolumbiens weist das Gericht auf das Rechtsmittel der Tutela
(gerichtliche Verfügung)
hin, für Fälle, in denen das Militär das Recht auf KDV nicht
respektiert. Wie dies in der Praxis funktionieren wird, und wie das
insbesondere in der Situation einer batida funktionieren kann, muss
abgewartet werden. Wird ein KDVer, der in einer Batida rekrutiert
wurde, vom Militär entlassen, während der Antrag auf gerichtliche
Verfügung noch nicht entschieden ist? Oder wie wird das
funktionieren?







Das
zweite Problem ist schwieriger zu lösen, da es mit den
unterschiedlichen politischen Perspektiven der KDV-Gruppen und ihrer
UnterstützerInnen – NGOs und Universitäten – zu Strategie in
Bezug auf ein KDV-Gesetz zusammenhängt. Während sich alle Gruppen
darüber einig sind, dass das Urteil des Verfassungsgerichts einen
Fortschritt im Sinne des Schutzes von KDVern darstellt, so sind sie
sich doch nicht über eine Strategie in der derzeitigen Situation
einig. Sollen sie, und wenn ja wie, sich in der Prozess des Entwurfes
eines KDV-Gesetzes einbringen? Welche Einschränkungen des Rechts auf
können akzeptiert werden? Und wie steht es mit einem Ersatzdienst?



Gruppen,
die mehr aus einer Tradition gewaltfreien Widerstands herkommen, wie
z.B. Red Juvenil, sind gegen ein KDV-Gesetz, das das Recht auf KDV
regulieren und einschränken würde. Andere sind besorgt, was denn in
einem Gesetz drinstehen wird, doch sind nicht so deutlich gegen ein
Gesetz. Und andere wiederum sind eindeutig für ein Gesetz, und sehen
es als einen wichtigen ersten Schritt an.





Kriegsdienstverweigerung – mehr
als nur Verweigerung des Militärdienstes


Für
die meisten KDV-Gruppen in Kolumbien geht es bei der
Kriegsdienstverweigerung um mehr als die bloße Verweigerung des
Militärdienstes. Auch wenn es zur Strategie und Taktik in Bezug auf
die KDV wichtige Unterschiede gibt – nicht nur zum Ersatzdienst,
sondern allgemeiner zur Rolle eines KDV-Gesetzes, und über den Weg
zu einem solchen Gesetz – so sind sie sich doch einig in ihrer
Opposition zu allen bewaffneten Akteuren im bewaffneten Konflikt in
Kolumbien, ob sie mit dem Staat zusammenhängen (Armee und
Paramilitärs), oder mit irgendeiner der Guerilla-Gruppen (FARC und
ELN sind die zwei wichtigsten, doch nicht die Einzigen).



Gewaltfreiheit
als Lebensperspektive, aber auch als Strategie des Widerstandes, ist
eine wichtige Grundlage der Arbeit der Gruppen, und aus dieser
Gewaltfreiheit erwächst auch eine Kritik an der strukturellen Gewalt
in Kolumbien (und global). Diese strukturelle Gewalt feuert den
bewaffneten Konflikt weiter an – viele der armen Menschen sehen
keine andere Option als sich einer der bewaffneten Gruppen
anzuschließen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, und die
Reichen brauchen die Armee und die Paramilitärs, um ihre Interessen
durchzusetzen.







Kriegsdienstverweigerung
ist ein Weg, um Widerstand gegen diesen Zyklus der Gewalt zu leisten,
der das Land in einem bewaffneten Konflikt gefangen hält. Viele
Menschen sind dessen müde, doch sehen keinen Ausweg. Oder sie
wählten Santos in den vergangenen Präsidentschaftswahlen, der eine
militärische Lösung des Konflikten befürwortet – die in den
letzten 50 Jahren auch nicht möglich war.
KriegsdienstverweigererInnen zeigen einen anderen Ausweg auf:
Verantwortung zu übernehmen, dem Militarismus zu widerstehen, und
Gewaltfreiheit zu propagieren.







Andreas
Speck, August 2010










Fussnoten



1Mehr
informationen zum Programm der War Resisters' International Das
Recht, das T
öten
zu verweigern
gibt es unter
http://wri-irg.org/programmes/rrtk.
Informationen zur Arbeit der WRI zu KDV in Kolumbien gibt es unter
http://wri-irg.org/campaigns/colombian_cos





3Siehe
CO-Update No 29, Mai 2007, http://wri-irg.org/node/1116,
und Das Zerbrochene Gewehr No 74, Mai 2007,
http://wri-irg.org/pubs/br74-de.htm




4Siehe
CO-Update No 52, November-December 2009,
http://wri-irg.org/node/9188




5Working
Group on Arbitrary Detention: Opinion 8/2008 (Colombia), 8 May 2008,
http://wri-irg.org/node/10513




6Siehe
CO-Update No 58, August 2010, http://wri-irg.org/node/10676




7Siehe
z.B.: Caracol Radio: Se pronuncia dirección de reclutamiento del
Ejército
, 3. Oktober 2008,
http://www.caracol.com.co/nota.aspx?id=683186,
Zugriff am 6. August 2010




8Siehe
z.B.:: El Tiempo, edicion Caribe: Pánico en Montería por
extraño caso de reclutamiento de jóvenes por el Ejército
, 26.
November 2009,
http://www.eltiempo.com/colombia/caribe/ARTICULO-PRINTER_FRIENDLY-PLANTILLA_PRINTER_FRIENDL-6681347.html,
Zugriff am 6. August 2010; Siehe auch: War Resisters' International:
Military Recruitment and Conscientious objection in Colombia, Report
to the Human Rights Committee, 97th Session, London, August 2009,
http://wri-irg.org/node/8442






11Andreas
Speck: Implementación del derecho a la Objeción de Conciencia:
Experiencias de la IRG, 2 June 2010, http://wri-irg.org/node/10569,
Zugriff am 10. August 2010





13Email
Martin Rodriguez, 14. Juli 2010





15Nach
Angaben der Europäischen
Kommission
unterstützten die Friedenslaboratorien,
die seit 2002 von der EU implementiert werden, lokale Initiativen
und zielen darauf ab, Gebiete des Friedens, des Zusammenlebens, der
wirtschaftlichen Entwicklung und der Versöhnung zu schaffen.
Die ausgewählten Regionen weisen jedoch
auch auf strategische und wirtschaftliche Interessen hin.
Siehe: European
Commission: COLOMBIA COUNTRY STRATEGY PAPER, 2007-2013,
http://www.eeas.europa.eu/colombia/csp/07_13_en.pdf,
Zugriff am 6.
August 2010




16Siehe
z.B.: El Universal Sincelejo: Responsabilizan a autoridades del
asesinato de líder
, 20 May 2010,
http://www.eluniversal.com.co/v2/print/45465,
accessed 6 August 2010; El Tiempo: Ya son 45 los líderes de
víctimas asesinados por reclamar sus tierras; en 15 días murieron
tres
, 2. Juni 2010,
http://www.eltiempo.com/colombia/justicia/ARTICULO-PRINTER_FRIENDLY-PLANTILLA_PRINTER_FRIENDL-7737280.html,
Zugriff am 6. August 2010







20Siehe
http://wri-irg.org/node/2892
for more information on his case.




21Siehe
Opinion No 8/2008 (Colombia), http://wri-irg.org/node/10513





23http://www.redjuvenil.org.
Red Juvenil ist
die einzige Organisation in Kolumbien, die formal der
War Resisters' International angeschlossen
ist


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