Afrikanische Gruende: Das Afrika-Engagement der War Resisters International

Das zerbrochene Gewehr, Dezember 2013, No. 98

 

Wer die Geschichte von War Resisters International (WRI) schnell ueberfliegt, kann den Eindruck gewinnen, dass diese Organisation, die fuer viele wunderbare kleine Aktionen verantwortlich zeichnet, aber selten als Initiator grosser und wirkungsvoller Bewegungen in Erscheinung getreten ist, mit Afrika kaum etwas zu tun hat. Doch dieser erste Eindruck taeuscht. Oft im Hintergrund, ohne grosses Tamtam oder Rampenlicht, haben Kernmitglieder der WRI in den mehr als 90 Jahren seit der Gruendung von WRI in 1921 wichtige Rollen fuer bedeutsame Aspekte der Anti-kolonialismus- und Antikriegsbewegungen des Kontinents gespielt. Die Internationale Konferenz in Kapstadt, Suedafrika im Juli 2014 (link: July 2014 international conference in Cape Town, South Africa ) ist einfach die bekannteste – und vielleicht ehrgeizigtste – dieser Anstrengungen.
Hintergrund

Nach dem Zweiten Weltkrieg intensivierten sich die WRI Kontakte mit Befreiungsbewegungen auf dem Afrikanischen Kontinent – zuerst durch die Arbeit von fuenf Kriegsdienstverweigerern (KDV) und streitbaren KDV-Unterstuetzern: Die afro-amerikanischen Verweigerer Bill Sutherland and Bayard Rustin, Jean Van Lierde aus Belgien, Michael Randle in Grossbritannien und Pierre Martin in Frankreich. Jeder von ihnen staerkte auf eine ihm eigene Weise die Verbindungen von WRI zu Gruppen und Leuten in ihrem “Mutterland” und versuchte in den 1950ern, 60ern und 70ern eine streitbare Gewaltfreiheit mit Verbindung zu dem lockereren WRI-Netzwerk zu gruenden. Sutherland widmete diesen Zielen sein Leben. Als er 1953 aus den USA in die britische Kolonie Gold Coast (bis 1957 Name des heutigen Ghana) zurueckkehrte, bildete Sutherland mit einigen internationalen und anti-kolonialistischen QuaekerInnen in Accra zusammen eine WRI Gruppe. Seine Ehe mit der Erzieherin und Autorin Afua Sutherland brachte ihn in groessere Naehe zur Befreiungsbewegung. Gemeinsam mit Rustin nahm er an fruehen Dialogen ueber die Strategie und Taktik mit Kwame Nkrumah teil, dem “Gandhi Afrika’s”. Nkrumah’s “Positive Action” Programm – eine Kombination Gandhischer Vorgehensweisen und einer Politik gewaltfreier direkter Aktion mit bodenstaendigem Kulturbewusstsein - , liess Ghana das erste unabhaengige Land auf dem Kontinent werden. Die Hauptstadt Accra und Nkrumah’s Convention People’s Party (CPP) Partei wurden nicht nur um Zentrum pan-afrikanischer Bestrebungen sondern sie machten westliche Friedensbewegungen neuen Hoffnung, dass soziale Veraenderungen auf breiterer Ebene moeglich sind Van Lierde’s afrikanisches Engagement verlief aehnlich: Als in den spaeten1950ern der Rest des Kontinents am Vorabend von Ghana’s Unabhaengigkeit vor Interesse strotzte, Nkrumah’s Beispiel zu kopieren, bildete Van Lierde in Bruessel Amis de Presence Africaine, eine Organisation, die sich der Entwicklung und Unterstuetzung gewaltfreier Strategien fuer die Befreiung des Kongo verschrieb. Ihn verband eine enge Freundschaft mit dem kongolesischen Fuehrer und ersten Premierminister Patrice Lumumba, die bis zur Ermordung von Lumumba 1961 andauerte. Van Lierde blieb ein heftiger Kritiker des Neo-Kolonialismus und der zunehmenden Militarisierung Afrikas.

Im Vordergrund

Das Naechste, was das Interesse von WRI-Mitgliedern, Pan-Afrikanisten und Anti-Atom-AktivistInnen weckte, waren Frankreichs Atomtests in der Wueste Sahara in der Naehe seiner westafrikanischen Kolonien. Dieses Mal uebernahm Bill Sutherland die Leitung, zusammen mit Unterstuetzung von Rustin, dem britischen WRI-Vorsitzenden Michael Randle, Ref. Michael Scott und anderen, einschliesslich einer starken Vertretung aus der Ghanaischen CPP Partei und der Gesamtafrikanischen Gewerkschaftsbewegung mit Sitz in Accra. Der franzoesische Wirtschaftsexperte und WRI-Aktivist Pierre Martin gab seinen Job bei UNESCO auf, um an dem Sahara-Protest-Team teilzunehmen. Dutzende riskierten ihre koerperliche Unversehrtheit und marschierten in die Wueste, um die Bombardements zu stoppen. Nach einer Reihe internationaler Veranstaltungen in Ghana, Upper Volta und anderswo in der Region, die ueber das Internationale Team berichtete und internationale Aufmerksamkeit weckte, gab die franzoesische Regierung schliesslich ihre Testplaene auf. Als in dieser wichtigen Zeit das Streben nach Unabhaengigkeit auf dem Kontinent und weltweit staerker wurde und Buergerrechts-, Menschenrechts-, Anti-Atom- und Anti-Militaristische Bewegungen Fuss fassten, war ein weitergehendes Keimen von WRI Samen in all diesen spriessenden Bewegungen zu beobachten. So nahmen am Sahara- Protest-Team beispielsweise mehrere Westafrikaner teil, die spaeter, nach deren Unabhaengigkeit, in den 1960ern in ihren Laendern Staatschefs wurden. Die Weltfriedensbrigade (ein Vorlaeufer einiger der unbewaffneten Friedensdienst-Organisationen) wurde 1961 in Indien bei der WRI Dreijahres-Konferenz ernsthaft diskutiert. An ihrer Gruendung im Jahr 1962 in Beirut waren als Foerderer nicht nur Michael Scott, AJ Muste (Vorsitzender verschiedener US-Friedensorganisationen, einschliesslich War Resisters’ League und Fellowship of Reconciliation) und Gandhi-Mitarbeiter Narayan, sondern auch Tanzania’s Julius Nyerere und Zambia’s Kenneth Kaunda beteiligt. Im April 1960 fand in Accra eine Konferenz ueber die “Positive Aktion fuer Frieden und Sicherheit in Afrika” statt, an der AJ Muste, Rev. Ralph Abernathy, Franz Fanon und andere teilnahmen und die Organisator Bill Sutherland (in seinem von WRI mit-herausgegebenen Buch “Guns and Gandhi in Africa”: Gewehre und Gandhi in Afrika) als “den Hoehepunkt des Einflusses der internationalen Friedensbewegung auf den afrikanischen Befreiungskampf” bezeichnete. Die ambitioesen Aktionen zu Beginn des Jahrzehnts machten einer laengerfristigen Planung Platz – kleinen Aktionen, intellektuellen Arbeiten, der Herstellung einer Basis und privaten Treffen zu der Frage, wie kuenftig groessere, dauerhaftere und erfolgreichere Bewegungen geschaffen werden koennten. Pierre Martin zog mit seiner Familie nach Senegal, wo er Mitglied des WRI Rates wurde. Seine 1968 von WRI veroeffentlichte Broschuere Violence in Africa (Gewalt in Afrika) untersuchte die Eigenheiten der kolonialen Unterwerfung und Unterdrueckung, die Rolle der Religion, des Militaers und der Gewerkschaften beim Aufbau militarisierter oder entmilitarisierter Gesellschaften. In einem Fazit seiner Reflektion ueber die Moeglichkeiten der Gewaltfreiheit in Afrika schreibt Martin, dass die geringe oeffentliche Unterstuetzung fuer grosse ausdruecklich pazifistliche Bewegungen, die in den 1960ern zu beobachten war, keinerlei Bedeutung habe, da “Gewaltfreiheit nicht die Aufmerksamkeit der Nachrichtenagenturen anzieht: Gewalt ist doch viel sensationeller”. Martin beschwor sein Publikum, genau darauf zu achten, dass einige zentrale einheimische Kraefte in Afrika ausdruecklich von Gewaltfreiheit sprechen, einschliesslich der Kibangist Christen im Kongo und der Muslim Sekte der Mouriden im Senagal, “die durch einen Heiligen gegruendet wurde, der gewaltfreien Widerstand gegen das franzoesischen Kolonialmilitaer leistete.” Auch die WRI Dreijahres-Konferenz Ende 1969 in Haverford, Pennsylvanien, belegt ein gewachsenes Verstaendnis fuer die Notwendigkeit langfristiger Strategien und eine Solidaritaet in beide Richtungen. Das Konferenz-Motto “Befreiung und Revolution” bot Raum fuer Berichte und Dialoge ueber die Beziehung zwischen Mitteln und Zielen, die Rolle des “befreiten Nationalismus” und die Notwendigkeit, sich “jenseits von jedem Separatismus” zu bewegen. Es gab einen Sonderbericht ueber Gewaltfreie Revolution und Entwicklungslaender, der von Bill Sutherland, dem indischen Fuehrer Narayan Desai und dem vietnamesichen Menschenrechtsverteidiger Vo Van Ai vorgestellt wurde. Einige dieser Diskurse kamen 1985-86, bei einer weiteren WRI Dreijahres-Konferenz in Indien, zu voller Entfaltung, die dieses Mal auf Einladung von Desai und mit Beteiligung von Bayard Rustin, dem Gruender der World Peace Brigade George Willoughby, VertreterInnen des suedafrikanischen Kirchenrates und der Frauengruppe Black Slash sowie einiger jugendlicher Teilnehmender (einschliesslich des Autors dieses Artikels). Einige Jahre vorher, auf einer Reise nach Mosambik und Zimbabwe, hatte die US- Journalistin Julie Frederikse mein “Broken Rifle” T-Shirt entdeckt. Daraufhin nahm sie mich zur Seite, und erzaehlte mir von einem Treffen Ihres suedafrikanischern Ehemanns Stelios mit ein paar Leuten von der anderen Seite der Grenze. Eine Handvoll weisser suedafrikanischer Jungs war nach Harare gekommen um den frueheren Kriegsdienstverweigerer Stelios ueber ihre Plaene zu konsultieren, ein mehrheitsfaehigeres Projekt zu starten, das den Aufruf zur Beendigung der Wehrpflicht mit der Forderung nach Rassengerechtigkeit und einem Ende der Apartheid verbinden wuerde. Wir trafen uns, um die Moeglichkeiten internationaler Unterstuetzung fuer diese Arbeit zu diskutieren, und wenig spaeter erfuhr die Welt von der hoch kreativen, bahnbrechenden “End Conscription Campaign (ECC)”. Was in der ECC geschah, half nicht nur, mit der suedafrikanischen Massenbewegung United Democratic Front daran zu arbeiten, Weisse naeher an die Anti-Apartheid-Perspektive heranzufuehren, sondern es inspirierte Tausende weltweit, indem es zeigte, dass es Spass machen und zur Staerkung aller beitragen kann, wenn Friedens- und Gerechtigkeitsfragen miteinander verbunden werden. Die ausgepraegte Unterstuetzungsrolle der WRI waehrend der gesamten 1980er Jahre war ein gutes Beispiel fuer beiderseitig nutzbringende Solidaritaet.

Neue Grundlagen

Die gegenwaertige Arbeit der WRI in Afrika wurzelt in drei wesentlichen miteinander verbundenen Projekten, die in den 1990er Jahren entwickelt wurden: der Frauen-Konferenz in Bangkok 1992, der Bildung der Afrika Working Group (AWG) 1994 und dem Internationalen KDV-Treffen im Tschad im Dezember 1995. Die AWG brachte die gewachsenen Kontakte von WRI mit der suedafrikanischen Massenbewegung fuer Demokratie, eine Gruppe in Europa lebender AfrikanerInnen und afrikanischer Solidaritaetsspezialisten sowie einige nordamerikanisch-afrikanische AkademikerInnen und AktivistInnen zusammen. Bei jeder WRI Konferenz haelt sie Treffen und Seminare und legt Berichte ueber relevante Fragen vor, etwa das 1996 in “Peace News” erschienene Dossier “Frieden und Wiederaufbau in Afrika” oder die zweibaendige in Africa World Press Book erschienene und von den AWG-Mit-Organisatoren Elavie Ndura und mir herausgegebene Serie Seeds of New Hope and Seeds Bearing Fruit. So wie Narayan Desai uns 1986 nahegelegt hatte, stellt die AWG immer die Sued-Sued-Zusammenarbeit und die Sued-Sued-Kapazitaetsentwicklung in den Vordergrund, bei der Leute aus dem Norden eher unabhaengige Kontakt foerdern als leitend helfen. Im Afrikanischen Austausch-Treffen der Gewaltfreiheits-TrainerInnen in Johannesburg, Suedafrika, im Juli 2012, trug die Vielfalt panafrikanischen Bemuehungen reiche Frucht. Bei diesem Treffen wurde das African Nonviolence and Peacebuilding Network gegruendet, zu dem unter anderem Siphon Theys aus Soweto und die fruehere Parlamentarierin Nozizwe Madlala-Routledge einluden. Nozizwe, die mit ihrer Gruppe Embrace Dignity bei der Organisation der WRI Konferenz im Juli 2014 ebenfalls eine fuehrende Rolle spielt, merkte an: “Die Schaffung des African Nonviolence and Peacebuilding Network ist ein bedeutsamer Moment, weil wir jetzt die Chance haben, auf der Arbeit vor Ort aufzubauen, die ueberall auf unserem Kontinent stattfindet und damit die Isolation u durchbrechen, die so viele empfunden haben. Ich moechte gerne darueber nachdenken, bei Trainings ueber Friedensaufbau hinaus zu gehen, hin zu den wesentlichen Ursachen von Gewalt”. Zurueck zu gehen zu den Wurzeln – sowohl des Krieges und als auch des Widerstandes gegen Krieg –, und sich dabei entlang des breiten Spektrums der direkten gewaltfreien Aktionen zu bewegen, scheint angesichts von mehr als 90 Jahren WRI-Engagement fuer Afrikanische Befreiung angemessen. In Anbetracht neuer und wiedergewonnener starker Massenbewegungen und kleiner und nicht so kleiner Aktionen, die eine Rolle spielen fuer die Entwicklung noch groesserer und hoffentlich wirkungsvollerer Demokratiebewegungen fuer Gerechtigkeit und Frieden, wird es jetzt Zeit mehr zu tun als nur zu ‘netzwerken’. Gemeinsam handeln muessen wir.

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Der Autor, Erzieher und Aktivist Matt Meyer lebt in New York City und agiert als Koordinator des Afrika-Unterstuetzungs-Netzwerks der War Resisters International. Meyer ist der UN Vertreter der International Peace Research Association und Herausgeber, Autor oder Mitautor von einem Dutzend Buecher, einschliesslich Tight: Urgent Tasks for Educational Transformation—South Africa, Eritrea, and the USA; and (mit Bill Sutherland) Guns and Gandhi in Africa: Pan African Insights on Nonviolence, Armed Struggle and Liberation. In seinem Vorwort zu Guns and Gandhi merkt Archbishop Tutu an dass “Sutherland und Meyer ueber kurzfristige Strategien und Taktiken hinaus schauen, die fortschrittliche Leute zu oft voneinander trennen. Sie haben begonnen, eine Sprache zu entwickeln, die den Blick - jenseits unserer vielfaeltigen persoenlichen Widersprueche - auf die Wurzeln unserer Menschlichkeit richtet.”

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